Bericht vom 32. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 4

Und nun der letzte Tag in Oldenburg, den ich dann wieder allein bestritt.

Ich hatte lange überlegt, wie ich den Tag programmtechnisch gestalten sollte, da ich sehr gerne „Wolfen“ gesehen hätte. Allerdings wusste ich nicht, ob Regisseur Michael Wadleigh anwesend sein würde. Letztendlich entschied ich mich dann für „Crazy Love“, was vor allem logistischen Überlegungen geschuldet war. Der erste Film, den ich sehen wollte, lief nämlich im vielleicht schönsten Festivalkino, dem Casablanca.

Während Theaterhof und cineK quasi gegenüber in derselben Straße liegen, muss man zum Casablanca einen – im Vergleich zu anderen Festivals zugegebenermaßen kleinen – Weg in Kauf nehmen. Daher war ich mir nicht sicher, ob ich es nach dem ersten Film überhaupt rechtzeitig ins cineK schaffen würde. Wahrscheinlich hätte ich es nicht. So blieb ich stattdessen für einen zweiten Film im Casablanca. Auch wenn ich mit dem Herzen gerne „Wolfen“ gesehen hätte, war es im Nachhinein die richtige Entscheidung, um den Stresslevel niedrig zu halten.

Der Film „The Girl in the Snow“ der französischen Regisseurin Louise Hémon ist ein sehr ruhig erzählter Film, der im Nachhinein noch wächst. Hémon gelingt das Paradox, einerseits beeindruckende Naturaufnahmen der Berglandschaft in Südfrankreich zu schaffen, andererseits durch die Entscheidung für das 4:3-Format die hohen Gebirge und die Natur klaustrophobisch wirken zu lassen. Die gewaltigen Berge scheinen direkt auf die Protagonisten des Films zu drücken und ihnen den Lebensraum zu beschneiden. Der kleine, winterliche Flecken, weit abgelegen von jeder Zivilisation, wird so zu einem Gefängnis, aus dem es kein Entkommen gibt. Lediglich die Fantasie und Poesie können eine kleine Flucht aus der kargen, menschenfeindlichen Gegend ermöglichen. Doch dies wird von der Gemeinschaft – gerade von den Alten – skeptisch beäugt.

Die Geschichte spielt im Winter 1899. Während der kalten Tage ziehen die Frauen eines kleinen Bergdorfes hinunter ins Tal, um als Bedienstete der Reichen zu arbeiten. Die Alten, die Männer und die Kinder bleiben zurück. Um letztere soll sich die junge Lehrerin Aimée Lazare kümmern, die dafür aus der Stadt gekommen ist. Doch Aimée kommt mit den verschlossenen Menschen, ihren archaischen Riten, ihren Gebräuchen und ihrer Sprache (die Alten sprechen ein altertümliches Französisch, das Aimée nicht versteht) nicht zurecht. Als sie zwei Kinder badet, wird sie angegangen, da die „Dreckkruste doch das Gehirn schützt“. Ein andermal wird ihr Notizbuch entrissen und ins Feuer geworfen, da sie darin die gehörten Geschichten aufgeschrieben und diese – laut den Alten – damit gestohlen und getötet habe. So bekommt sie keinen Zugang zur Dorfgemeinschaft und wird von dieser ausgeschlossen. Doch an dem abgelegenen Ort, an dem Aimée die einzige junge Frau ist und auch sexuelle Bedürfnisse hat, kommt es bald zu ersten intimen Kontakten zwischen ihr und den Männern.

In Besprechungen des Films fällt immer wieder das Wort „Folk-Horror“, was nicht unangebracht ist, werden doch typische Themen des Genres bedient: Die Abgeschiedenheit und die Ankunft eines „aufgeklärten Menschen“, der mit alten Riten und Glaubenssätzen konfrontiert wird. Ja, sogar das Übernatürliche hat hier seinen Platz, auch wenn es fraglich ist, ob die uralte Geschichte von dem männermordenden Geist, welche sich die alten Frauen erzählen, nur eine Geschichte ist oder tatsächlich mit Aimée in Verbindung steht. Generell werden immer wieder alte Volksmärchen in die Handlung überführt.

Galatéa Bellugi spielt die Aimée hervorragend und zeichnet in Gesicht und Gestalt die Verwandlung von einer gesunden, engagierten jungen Frau zu einer kränklichen, geisterhaften Person nach. Auch die Musik weiß zu gefallen und die Geschichte zu unterstreichen. Diese erinnert wahrscheinlich nicht zufällig an Ennio Morricone, der mit „Leichen pflastern seinen Weg“ selbst einmal einen düsteren Schneefilm vertont hat. Der einzige Vorwurf, den man Louise Hémon machen könnte, ist, dass sie ein perfektes, niederschmetterndes Schlussbild gefunden hat, das einem noch lange im Kopf herumgehen würde – ginge der Film nicht noch ein paar Minuten weiter und hätte sich Hémon nicht für eine andere Auflösung entschieden. Diese funktioniert zwar auch, nimmt dem Film aber die gewaltige emotionale Wirkung, die er gehabt hätte, wäre er etwas früher zu Ende gewesen.

Danach blieb ich also im Casablanca, wo es fast nahtlos mit dem nächsten Film weiterging.

Bei „Crazy Love“ hatte ich eine durchgedrehte Komödie erwartet. Laut Regisseur Jason Byrne war der Film im Q&A auch ursprünglich als solche geplant. Nach dem ersten Drehbuchentwurf habe man aber bemerkt, dass die Geschichte mehr beinhaltet. Am Ende ist der ganze Film dann im Schnitt entstanden, den der Regisseur zusammen mit dem Kameramann Kevin Treacy vorgenommen hat. Deshalb wird Treacy nun auch als Co-Regisseur genannt und hat einen Co-Autoren-Credit bekommen.

„Crazy Love“ handelt von Clayton, einem Mann mit suizidalen Tendenzen, der sich nach einem gescheiterten Selbstmordversuch selbst in eine Klinik einweist. Dort lernt er neben einigen skurrilen Mitpatienten auch Anna, eine schizophrene Frau, kennen und lieben. Schnell wird ihm klargemacht, dass Anna die Klinik aufgrund ihrer unheilbaren Krankheit nicht verlassen kann und ihre Liebe somit keine Chance hat. Doch damit will sich Clayton nicht abfinden.

Eine gewisse Traurigkeit durchzieht den ganzen Film, denn beide Protagonisten sind sich ihrer mentalen Probleme und der daraus resultierenden Konsequenzen durchaus bewusst. Wer also eine Komödie erwartet, dürfte enttäuscht sein, obwohl der Film natürlich auch humoristische Momente hat. Hierfür sind insbesondere Claytons Mitpatienten zuständig. Gerade diese Szenen führen noch einmal das ursprüngliche Konzept des Films vor Augen, welches zugunsten eines zarten und berührenden Liebesfilms aufgegeben wurde.

Trotz der unkonventionellen Produktionsgeschichte gelingt dem Duo Byrne & Treacy ein überzeugender Film. Hierzu trägt neben einem effektiven Sounddesign, bei dem immer wieder bedrohliche Geräusche zu hören sind, vor allem die Leistung der beiden Hauptdarsteller bei. John Connor als Clayton erinnert von Sprache und Ausdruck sowohl an Ricky Gervais als auch an Benny Hill, was eine interessante Mischung ergibt. Connor erhielt in Oldenburg zu Recht den Preis als bester Darsteller (er war dann leider nicht beim Q&A zugegen – wahrscheinlich, weil er gerade auf dem Weg zur Preisverleihung war). Seine Partnerin Jade Jordan ist ein Naturtalent, das alle Facetten ihrer vielschichtigen Figur beherrscht und das man – wie Clayton es auch tut – gerne ins Herz schließt. Gewürzt wird dies alles noch durch eine gehörige Portion Kritik an einem Gesundheitssystem, in dem Menschen nur geholfen wird, wenn sie es auch bezahlen können, und bei dem nicht die Interessen der Hilfesuchenden im Vordergrund stehen, sondern die der kapitalistischen Stakeholder.

Die Crew des Films war in großer Zahl (minus Hauptdarsteller) zum Q&A erschienen und erzählte ungezwungen und charmant von den doch eher unkonventionellen Dreharbeiten.

Leider waren das dann auch die einzigen Gäste an diesem Tag, denn J. Xavier Velasco, der Regisseur von „Crocodiles“, war – im Gegensatz zum ersten Screening am Donnerstag – nicht mehr anwesend. Schade, denn von meinem Kollegen Stefan wußte ich, dass Velasco sehr viele spannende und hochinteressante Geschichten zu erzählen gehabt hätte.

Das cineK Studio war für einen Sonntagabend auch noch überraschend gut besucht.

Im Film wird über die Crocodiles im Titel erzählt, dass die Bandenchefs sie sich halten und zum Spaß unliebsame Menschen lebendig an sie verfüttern. Diese Geschichte gibt den Ton für diesen Magenschwinger vor. Obwohl man die Bandenchefs nie zu Gesicht bekommt, schwebt ihr finsterer Schatten über allem und jedem. In Mexiko starben seit 2000 über 140 investigative Journalisten, was Mexiko zu einem der gefährlichsten Länder für Reporter macht. Viele dieser Verbrechen fanden in Xalapa statt, dem Handlungsort dieses Films.

Als die Journalistin Amanda zusammen mit ihrer kleinen Tochter brutal in ihrer Wohnung abgeschlachtet wird, macht sich der junge Fotoreporter Santiago daran, die Hintergründe der Tat und die Korruption innerhalb der Behörden aufzudecken.

So kennt man das auch von vielen US-Filmen. Doch im Gegensatz zu den heroischen Reportern, die in Hollywood Missstände aufdecken und mit denen wir mitfiebern, möchte man Santiago die ganze Zeit zurufen: Lass es! Denn mit seinen Recherchen bringt er nicht nur sich, sondern auch seine Liebsten in tödliche Gefahr. Die gnadenlose Brutalität der Banden und ihre Vernetzung im System ist in jeder Sekunde dieses Films spürbar. Die Spannung ergibt sich also nicht unbedingt daraus, ob Santiago bis an die Mächte im Hintergrund kommt, sondern ob er und sein geliebtes Umfeld diese Suche überleben. Die permanente Bedrohung drückt einen dabei tief in den Kinositz.

Was Santiago droht, weiß man nicht nur aufgrund der Geschichten um die titelgebenden Krokodile, die ihm ein Zeuge zitternd und unter Tränen erzählt, um dann im Schoß seiner Mutter hemmungslos weinend zusammenzubrechen. Man weiß es nicht nur durch den bestialischen Mord an Amanda und ihrer kleinen Tochter, sondern auch durch eine grandiose und bittere Szene, in der Santiago plötzlich realisiert, dass er auf einem schier endlosen Massengrab steht, und von seinen Emotionen überwältigt wird. Eine besonders erschütternde Nebengeschichte betrifft Santiagos Mutter, die, seitdem ihr Mann (ebenfalls ein Journalist, dem Santiago nacheifern will) spurlos verschwunden ist, scheinbar eine heftige Bakterien-Phobie mit Waschzwang entwickelt hat. Dies macht noch einmal deutlich, dass es hier mehr Opfer gibt, als man auf den ersten Blick sieht. Nicht nur die Toten sind Opfer, sondern auch die Überlebenden.

Dies war ein sehr starker Abschluss eines generell exzellenten Jahrgangs in Oldenburg. Vielleicht sogar einer der besten, an dem ich in den letzten 16 Jahren teilhaben durfte. Danke dafür an alle Beteiligten. Allen voran Festivalleiter Torsten Neumann, der wieder ein ganz besonderes und atmosphärisches Festival auf die Beine gestellt hat. Ich ziehe meinen Hut. Dies tue ich auch vor der gesamten Organisation, die diesmal wirklich wie am Schnürchen funktionierte, den vielen netten und entspannten Mitarbeitern sowie den zahlreichen Filmemacherinnen und -machern, die allesamt höchst informative und sympathische Q&As abhielten. Danke für die gute Zeit mit meinen Mitstreitern, für die großartigen Begegnungen und Gespräche. Es war einfach schön, und ich freue mich schon auf die Ausgabe 33!

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Bericht vom 32. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 3

Der dritte Tag auf dem 32. Internationalen Filmfest Oldenburg zeichnete sich nicht nur durch großartige Filme aus, sondern auch durch ein sehr angenehmes Miteinander jenseits der Vorführungen.

Es gab schöne Treffen, nette Gespräche und gemeinsame Erlebnisse. Nachdem ich in den letzten Jahren häufig allein unterwegs war, wusste ich diese Begegnungen einmal mehr sehr zu schätzen.

Los ging der Tag im cineK Muvi, das wir als Trio besuchten, was schon seit Ewigkeiten nicht mehr vorgekommen war.

Der amerikanische Film Keep Quiet des Regisseurs Vincent Grashaw erfüllt zunächst alle Standardvorgaben eines Cop-Thrillers. Auf der einen Seite steht der alte Veteran, auf der anderen der junge Rookie, der noch viel zu lernen hat. Dieser alte Cop, Teddy Sharpe, der eine schwere Schuld mit sich herumschleppt, wird hervorragend von Lou Diamond Phillips gespielt. Der von Dana Namerode zunächst sehr zurückhaltend gespielte Rookie Sandra Scala hat die altbekannte Funktion, den Zuschauer in die Welt einzuführen, in der Teddy lebt. Dies ist sehr spannend, denn es werden interessante Einblicke in das Leben der indigenen Stämme in den Reservaten gezeigt. Wenn man sich mit diesen speziellen Gegebenheiten nicht besonders gut auskennt, was auf viele Europäer zutreffen dürfte, muss man sich am Anfang des Films einiges selbst erarbeiten. So wird nicht darauf eingegangen, was die Tribal Police ist und inwieweit sie sich in ihren Zuständigkeiten von der normalen Polizei unterscheidet. Viele Informationen über die Lebensumstände und die Beziehungen untereinander werden über Dialoge transportiert, die nicht immer gut verständlich sind – sei es aufgrund der Aussprache oder der vielen Abkürzungen und Slangwörter. Hier wären Untertitel empfehlenswert gewesen.

Doch bald schon taucht man tief in diese fremde Welt ein und erfährt eine Menge über sie. Eingebettet ist dies in eine Geschichte um alte Sünden und Traumata. So versucht Teddy noch immer, eine alte Schuld zu begleichen und versteht die seelischen Wunden der Menschen in der kleinen Stadt. Er versucht tatsächlich, sie zu schützen und damit einen Moment wiedergutzumachen, in dem er es nicht konnte.

Auch der Antagonist Richie Blacklance schleppt dieses Päckchen mit sich herum. Und so skrupellos und brutal seine Aktionen auch sind, er ist nicht das eindimensionale Böse, sondern ebenso von Dämonen gequält wie die anderen Charaktere. Der eher unbekannte Elisha Pratt spielt Richie ausgezeichnet. Er ist nicht nur sehr charismatisch und bedrohlich, sondern auch ein zutiefst verletzter Mensch. Darin liegt auch die Kernaussage des Films: Man erfährt durch die Hintergrundgeschichte, wie die jungen Leute zu dem geworden sind, was sie sind. Die Botschaft lautet: Es ist wichtig zu verstehen, warum sich jemand so verhält, wie er es tut, denn nur so können Veränderungen herbeigeführt werden. Neben dieser humanistischen Seite funktioniert „Keep Quiet“ aber auch hervorragend als finsterer und spannender Thriller, dessen Actionszenen selten, aber nachdrücklich sind.

Danach ließ ich das Gesehene erst einmal sacken und ging rüber zum Theaterhof, wo ein Film lief, den ich im Vorfeld als eines der Highlights eingestuft hatte. Anscheinend ging es anderen auch so, denn der Theaterhof war fast bis auf den letzten Platz gefüllt. Hier trafen wir auf weitere Bekannte, und einem interessanten Filmbesuch stand nichts mehr im Wege.

Vorweg gab es einen Vorfilm, der das Publikum – welches überraschenderweise aus vielen älteren Herrschaften bestand – nachhaltig verstörte. Sleeping Beauty ist ein sehr professionell und gut gemachter Kurzfilm, anscheinend Teil einer Serie (?). Allerdings wirkt die Geschichte um einen jungen Mann, der im kolonialen Thailand eine scheinbar schlafende oder tote Schönheit findet und diese entgegen jedem Rat mit nach Hause nimmt, auch bemüht. Trotz des interessanten Themas schafft der Film es nicht, eine wirklich großartige Atmosphäre zu erzeugen. Das Publikum war spätestens bei einer Gore-Szene hörbar geschockt.

Good Boy lief schon auf einigen Genre-Festivals und kam dort immer gut an. In Oldenburg war das Publikum anscheinend nicht mit der Handlung des Films vertraut. Vermutlich hatten sich viele nur oberflächlich informiert und einen schönen Film mit einem süßen Hund erwartet. Anders kann ich es mir nicht erklären, weshalb während der Vorstellung 22 Personen (mein Sitznachbar hatte mitgezählt) den Saal verließen – dies gerne auch lautstark und direkt vor der Leinwand entlanglaufend. Dadurch wurde man immer wieder aus dem Film gerissen, was sehr schade ist, denn dieser lebt gerade von seiner dichten, bedrohlichen und mysteriösen Atmosphäre.

Man muss aber auch sagen, dass die Inhaltsangabe einen nicht unbedingt darauf stößt, dass es sich hier um einen waschechten Gruselfilm handelt. Zitat: „Eine unerwartete Diagnose beim Arzt wirft Todd völlig aus der Bahn. Zusammen mit seinem Hund Indy zieht er sich zur Selbstfindung in das alte Haus seines Großvaters zurück, obwohl ihn seine Schwester vor den kursierenden Spukgerüchten warnt. Fernab der Stadt spürt Indy schon bald, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht. Wenn er doch nur sein Herrchen warnen könnte. […] Über drei Jahre brauchte Regisseur Ben Leonberg, um seinen eigenen Hund zum charismatischen Hauptdarsteller dieses einzigartigen Films zu machen. Über den gesamten Film bleibt die Kamera der Perspektive des unwiderstehlichen Vierbeiners treu und rückt menschliche Akteure nur selten ins direkte Blickfeld. So erwächst aus dem Experiment nicht nur eine exzellent verdichtete Bedrohung, sondern ein makelloses Lehrstück in Sachen Suspense. Indys Versuche, sein Herrchen zu beschützen, sind das Aufregendste und Emotionalste, was uns das Kino seit Langem beschert hat.“

Tatsächlich spielt der Film folgendes Gedankenspiel durch: Man sagt Hunden nach, sie hätten ein besonderes Gespür für Gefahren. Können sie dann auch den kommenden Tod spüren? Und wie sähe das aus ihrer Sicht aus? Dies wird mit klassischen Horror- und Gruselfilmelementen gezeigt: mit Jump-Scares, unheimlichen Schatten, Geräuschen und Geistern. Das ist ebenso gut gemacht wie altbekannt. Dies aber komplett aus der Sicht eines Hundes zu zeigen, ist eine neue, innovative und effektive Idee. Man schlüpft in die Rolle eines Hundes, der seinem Herrchen beim Sterben zusieht und nicht versteht, was da vor sich geht. Dessen Sinne ihm möglicherweise mehr zeigen, als ein Mensch sehen könnte. Was mich ein wenig ablenkte, war die Frage, ob da ein echter Hund (so wird es behauptet, und das wäre in der Tat unglaublich) oder eine brillante CGI-Kreation auf der Leinwand zu sehen war. Schade, dass Regisseur Ben Leonberg nicht mit Indy zugegen war, um dies aufzuklären.

Zum letzten Film blieben wir gleich im Theaterhof, wo noch einmal ein echter Höhepunkt wartete.

The Innocents ist ein peruanischer Spielfilm über eine Gruppe von Jugendlichen aus der Unterschicht, die sich in Lima mit Kleinkriminalität und Musik durchschlagen, während sie auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität, der ersten Liebe und ihrem Platz im Leben sind. Es handelt sich um die Verfilmung eines in Peru sehr bekannten und bedeutenden Romans, den Regisseur Germán Tejada aber nur als Grundgerüst nahm, um den Film mit eigenen Erlebnissen zu füllen. Dies erklärt möglicherweise seine sehr niedrige IMDb-Bewertung von derzeit 4,9. Vielleicht waren die Fans des Buches darüber empört, vielleicht hatten aber auch einige Probleme mit den queeren Themen des Films.

Für mich war „The Innocents“ einer der Höhepunkte des diesjährigen Festival-Jahrgangs. Ebenso verwunderlich wie die Bewertung ist die Tatsache, dass, wie Tejada in der Q&A verriet, die Darstellenden von der Straße gecastet wurden und keinerlei schauspielerische Erfahrung mitbrachten. Das mag man kaum glauben, denn alle sind absolut hervorragend. Insbesondere Hauptdarsteller Diego Cruchaga Ponce de León spielt fantastisch und mit einer enormen Präsenz. Zu seiner genderfluiden, ganz speziellen Aura trug wohl auch bei, dass er sich – wie übrigens auch der Darsteller des Punk-Sängers Johnny – während der Dreharbeiten in einer Transitionsphase befand und heute seine Identität als Frau gefunden hat. Wie de León spielt auch der Darsteller seines Gegenspielers Colorete ganz fantastisch und mit sehr viel Charisma. Hinter dessen brutaler Fassade kommen Schmerz und Verletztheit zum Vorschein. Es geht hier viel um das Austesten von Grenzen, auch um das Überschreiten dieser; um die Suche nach dem Sinn im eigenen Leben und dem Ort, an dem man steht – mal brachial, mal ganz sensibel. Dabei spielen neben Gewalt und Sex auch Musik und Kunst eine Rolle, was sich im Film widerspiegelt, der nicht nur einen tollen Punk-Soundtrack hat, sondern auch Einsprengsel von magischem Realismus beinhaltet. So verwandeln sich immer wieder in traumartigen Szenen Menschen in Zombies, was in den gezeigten Bedrohungs- und Stresssituationen dramaturgisch absolut Sinn ergibt und daher nicht aufgesetzt wirkt.

Zusammenfassend ist „The Innocents“ eine wunderbare Beschreibung des Lebens von Jugendlichen (nicht nur in Lima) in dieser Phase ihres Lebens, in der sie viel ausprobieren, nicht genau wissen, wohin sie gehören, und sich ihre Unsicherheit, aber auch ihre Aufregung sowohl in Kreativität als auch in Gewalt ausdrücken kann. Getragen wird dies durch eine grandiose, dynamische Kameraführung, die an frühe Scorsese-Filme wie „Hexenkessel“ erinnert. Man merkt an keiner Stelle, dass dies der erste Spielfilm des Regisseurs war. Und er macht auch nicht den Fehler vieler Debüts, einfach zu viel zu wollen und sein Werk in die Länge zu ziehen. Im Gegenteil: Er findet das perfekte Schlussbild. Bravo!


So endete ein wirklich toller Tag in Oldenburg, und über die Autobahn ging es mit spannenden Gesprächen zurück nach Bremen.

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Bericht vom 32. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 2

Der zweite Tag beim Filmfest Oldenburg begann für mich mit sehr viel Hektik und Stress. Das lag aber nicht am Filmfest, sondern an gesperrten Straßen in Bremen und sich dadurch ergebenden langen Staus, weshalb ich es gerade so zum ersten Film schaffte, den ich im kleinen cineK Muvi wieder mit meinem Weird-Xperience-Kollegen Stefan sah.

„Rains over Babel“ aus Kolumbien ist ein wirklich schöner Film, dem man die Liebe anmerkt, die die Regisseurin in ihn hineingesteckt hat. Dabei fallen vor allem die lebendig gezeichneten Figuren (obwohl mindestens zwei von ihnen bereits das Zeitliche gesegnet haben) auf, die sich in dieser Queer-Drag-Trash-Fantasie tummeln.

Die Handlung spielt vor allem in der Bar Babel, die in einer Zwischenwelt zwischen den Lebenden und Toten liegt. Hier regiert La Flaca, eine Inkarnation des Todes. Ihr Helfer ist Dante, der die Seelen Verstorbener einsammelt und versucht, seine eigene Identität zu entschlüsseln. Da ist Monet, der versucht nach seinem versehentlichen Drogentod schnell wieder in seinen leblosen Körper wechseln zu können. Und noch viele mehr, die versuchen La Flaca zu überlisten oder ihr wahres Ich zu finden.

Zugegeben, zunächst fällt es schwer, sich in dieser schrill-schräg-neonbunten Hölle zurechtzufinden. Zu überbordend ist das Personal, zu seltsam die Regeln und Mythen dieser Welt. Aber mit fortschreitender Spielzeit funktioniert dies immer besser. Die Zuschauerinnen werden Stück für Stück mit Informationen gefüttert, die sich über die Dialoge der Hauptfiguren erschließen. Vor allem schwappt die Leidenschaft der Regisseurin Gala del Sol für Filme auf einen über und man spürt, dass sie eine Geschichte erzählen möchte, die durchaus auch mit Glauben und Liebe in allen Facetten zu tun hat, die ihr am Herzen liegt und die ihr aber auch Spaß macht. In der Q&A sprach Gala del Sol davon, dass sie sich auch eingehend mit Glauben und Religion beschäftigt habe. Und es ist sehr schön und erfrischend, dass der Glaube hier einmal nicht mit „schlecht“ und „freudlos“ gleichgesetzt wird, sondern dies der Institution Kirche vorbehalten bleibt. Denn der Film kritisiert mehr, was andere Menschen aus dem Glauben machen. Dies wird aber nicht zu einem bitteren Ende geführt, sondern der Film gönnt uns und seinen Figuren ein nettes Happy End. Und so kann am Ende auch der homophobe Prediger zur Liebe und Akzeptanz gebracht werden.

Der Film lebt neben seinen wunderbaren Kulissen vor allem von seinen großartigen Hauptdarstellerinnen und Hauptdarstellern. Ganz besonders stechen in dem überzeugenden Ensemble der sehr charismatische Darsteller des Dante, Felipe Aguilar Rodriguez, und Santiago Pineda als mysteriöser, die Fäden in der Hand haltender Barkeeper heraus. Ein gesondertes Kompliment geht dabei an die Make-up-Künstlerinnen, die deren Gesichtern und Erscheinungen durch ganz subtiles, aber hocheffektives Make-up eine spezielle, geheimnisvolle, aber zugleich auch sehr sexy Aura verleihen. Die Queer/Drag-Thematik wird hier nicht forciert, sondern fügt sich ganz natürlich in den Film ein. In dieser offenen Welt kann jede/r etwas mit jedem/r haben. Das ist natürlich und darüber wird auch kein großes Aufsehen gemacht.

„Rains over Babel“ macht großen Spaß und wird noch von einem tollen Soundtrack unterstützt. Auch wenn man Dantes Inferno nicht gelesen hat und manches, was aus dem großen Mythen-Fundus geschöpft wurde, vielleicht nicht so einfach zu dechiffrieren ist, kann man seine große Freude an diesem mit Wärme und Leidenschaft erzählten Film haben. Dies auch aufgrund seines Set-Designs und der fantasievollen Kulissen.

Danach ging es rüber in den Theaterhof. Dort wurde der zweite Film gezeigt, auf den ich mich im Vorfeld sehr gefreut hatte: „Summer Hit Machine“. Dabei stellten Stefan und ich fest, dass wir tatsächlich alle Filme des Regisseurs gemeinsam in Oldenburg gesehen haben – und mittlerweile beide so etwas wie Fans sind. Vorweg gab es wieder einen Kurzfilm, über den ich aber erst später schreiben werde.

Summer Hit Machine“ ist der neue Film des Belgiers Jérôme Vandewattyne, dessen vorherige Filme allesamt in Oldenburg liefen und immer wieder ein Quell der Freude waren.

„Summer Hit Machine“ beginnt zunächst wie eine Mockumentary. Es geht um den überforderten Musikproduzenten Marius, der einmal einen Erfolg landen konnte und diesen nun mit einer ausgesprochen seltsamen Punk-Band noch einmal wiederholen möchte. Dazu zieht man sich in ein abgelegenes Tonstudio auf dem Lande zurück. Und hier kommt es schnell zu Konflikten, die noch gesteigert werden, wenn der nicht ganz so erfolgreiche, intrigante „Freund“ und Geschäftspartner Allan (ein großartiger Karim Barras, von dem man gerne noch mehr sehen möchte) dazukommt, der es nicht ertragen könnte, wenn Marius noch einmal Erfolg haben sollte.

Der Humor ist hier eher subtil und nicht so durchgedreht wie in Vandewattynes vorigen Filmen. Da Vandewattyne selbst auch Musiker ist, kann er viele Insider-Witze über das Musikbusiness einbringen. Aber auch wenn man sich in diesem Geschäft nicht so gut auskennt, funktioniert der Film sehr gut. Denn er ist im Grunde genommen ein Plädoyer für Freundschaft und Kreativität, aber auch eine Warnung vor Manipulation und manipulativen Menschen.

Die Musik macht auch Spaß, auch wenn sie hier bewusst „schräg“ und „unprofessionell“ klingt und sehr, sehr laut ist. Punk eben. Die Schauspielerinnen spielen alle sehr natürlich, sodass man ihnen ihre Rollen jederzeit abnimmt. Viele von ihnen sind auch selbst Musiker. So spielt der Leadgitarrist der fiktiven Band Chevalier Surprise ebenso wie deren Drummer in der realen Band The Experimental Tropic Blues Band, über die Vandewattyne in seinem Langfilmdebüt eine fiktive Doku gedreht hat. Aber auch Vandewattyne selbst und seine Ehefrau Séverine Cayron (die hier ebenfalls wieder mitspielt) machen seit 2020 als Cold-Wave/Electro-Rock-Duo Pornographie Exclusive gemeinsam Musik.

Durch das Thema Musik, Band und Punk sowie der Mitarbeit zweier Mitglieder der Experimental Tropic Blues Band ist der Film auch so etwas wie eine Rückkehr Vandewattynes zu seinem ersten Film, der auch als Mockumentary angelegt war. Hier weicht er diesen Stil auf, denn bis auf die für Dokumentationen obligatorischen Interview-Szenen wird nie direkt in die Kamera gesprochen, ohne dass die Gegenwart eines Kamerateams irgendwie thematisiert wird. Spätestens wenn Vandewattyne beim Drogenrausch seiner Figuren experimentelle Effekte einsetzt und deren Albträume zeigt, wird diese Ebene ganz verlassen. Was vielleicht zu kleinen Irritationen führt, aber gut ins Gesamtbild passt. Vandewattyne lässt sich eben weder festlegen noch ausrechnen. In der Q&A verriet Regisseur Vandewattyne, dass er sowohl im Musik- wie auch im Filmgeschäft vielen Personen wie Allan begegnet sei. Und eigentlich sollte diese Person am Ende ermordet werden, aber er fand das jetzige Ende dann besser, da es mehr das echte Leben widerspiegelt.

Der Vorfilm „Lost in Space“ war wieder einmal ein echtes Gewächs der Oldenburg Connection. Regisseur Edgar Pêra war die letzten beiden Jahre mit einem Film in Oldenburg vertreten. Dieses Jahr hat er den Trailer für das Festival kreiert und aus den „übrig gebliebenen“ KI-Bildern eine Art Bilder-Schau im Rhythmus der sehr lauten und treibenden Musik von Sula Bassana erstellt. Schon vor dem Screening konnte man die Freundschaft zwischen ihm und Vandewattyne sehen, als sich die beiden einfach mal gegenseitig zu ihren Filmen befragten.

Ich vermute, der Film „One-Way Ticket to the Other Side“, der letztes Jahr in der Mitternachtsschiene lief, war ein Schlüsselerlebnis für die starke kollegiale Freundschaft der Filmemacher untereinander und der Verbundenheit zum Festival. In dieser Kurzfilm-Anthologie, die vom Festivalleiter Torsten Neumann mitproduziert wurde, kleideten unterschiedliche Filmemacherinnen, die dem Festival verbunden sind – sei es, weil sie Filme am Start hatten oder auch moderierten – die Musik des Duos Pornographie Exclusive (eben Jérôme Vandewattyne und Séverine Cayron) in kurze Filme. Und von denen, die damals dabei waren (u. a. natürlich Pêra), waren – soweit ich das überblicken kann – fast alle auch dieses Jahr wieder in Oldenburg. Eine große Familie eben mit dem Filmfest als Familientreffen. Was dann auch wieder die besondere Atmosphäre hier ausmacht. Und so steht im Abspann von „Summer Hit Machine“ dann auch eine Danksagung an die „Oldenburg Gang“.

Das erste Mal in Oldenburg dabei war der österreichische Filmemacher Christian Genzel, der seinen Dokumentarfilm „Finding Planet Porno“ vorstellte. Christian kenne ich schon länger. Er schrieb früher für unser Filmmagazin „35 Millimeter – Das Retro-Filmmagazin“, zudem teilten wir uns beim Internationalen Filmfest Braunschweig einmal ein Zimmer. Sein Film lief in der Mitternachtsschiene, wieder im kleinen cineK Muvi, und war für die Zeit anständig besucht.

Finding Planet Porno: The Wild Journey of American Cinema’s First Outlaw“ ist eine gelungene Dokumentation über einen ganz besonderen Filmpionier. Es geht nämlich um Howard Ziehm, den man vor allem für seine Mitarbeit an dem offenherzigen Kulthit „Flesh Gordon“ kennt, der aber auch die ersten Pornofilme in den USA produzierte. Und dessen Hardcore-Film „Mona: The Virgin Nymph“ bereits zwei Jahre vor „Deep Throat“ ein Kassenschlager war.

Die Dokumentation bietet interessante Einblicke in die Anfänge der Porno-Industrie der 70er-Jahre, ist aber gleichzeitig auch ein warmherziges Porträt eines interessanten Menschen. Dabei werden die dunklen Seiten nicht explizit angesprochen, aber auch nicht gänzlich ausgespart. Nur die Geschichte mit Ziehms langjährigem Partner, der ihn kräftig übers Ohr gehauen hat und offensichtlich eine Menge kriminelle Energie besitzt, zeigt, dass nicht nur freundliche Menschen in der Szene unterwegs waren. Es scheint so, als hätte sich dieser „negative“ Blickwinkel bei den vielen Gesprächen mit Pionieren und Akteuren der damaligen Szene einfach nicht ergeben. So entsteht einerseits der Eindruck eines heilen Sex-Wonderlands, andererseits kann sich jeder Zuschauer aufgrund der Äußerungen der Protagonisten auch seine eigenen Gedanken machen, ob das alles wirklich immer so „glücklich“ war, wie es zunächst einmal klingt. Zumal diese Seite der Geschichte auch nicht das Thema dieser Dokumentation ist und es viele andere gibt, die genau diesen Teil (und oftmals nur diesen) deutlich beleuchten.

Für seine Doku hat Christian viele interessante Interviewpartner vor die Kamera geholt, die unglaubliche Geschichten erzählen. Man kann teilweise kaum glauben, was man da hört und wie es damals in den 70er-Jahren in der Industrie abgegangen sein soll. Sehr positiv fällt auf, dass sich der Filmemacher stark zurücknimmt und keine aktive Rolle im Film einnimmt. Er kommentiert auch nicht, sondern lässt die Bilder und Worte für sich stehen. Nur einmal ist er zu sehen, als er bei einem Interview mit Ziehm in einer Radiostation neben ihm auf dem Sofa sitzt und von dem Radiomoderator auch ein, zwei Fragen gestellt bekommt.

Ebenfalls erwähnenswert ist, dass die Hauptfigur nicht als Held dargestellt wird, sondern als jemand, der mit Leidenschaft in die Industrie hineinstolperte und sich dann dort eingerichtet hat. Spannend und ein wenig ambivalent wird es, wenn es um den Film „Flesh Gordon“ geht, bei dem Ziehm ursprünglich nur produzierte, dann aber den ursprünglichen Regisseur Michael Benveniste feuerte und den Film selbst zu Ende brachte. Benveniste beging dann später Selbstmord. Christian führt ein Interview mit dessen Witwe und dessen bestem Freund, welches einen stark schlucken lässt und bei dem Ziehm auch nicht gut wegkommt.

„Finding Planet Porno“ wurde über viele Jahre hinweg gedreht und musste ohne große Förderung mit kleinem Budget, welches u. a. mittels Crowdfunding bewerkstelligt wurde, auskommen. Und es ist gut, dass nicht auf eine bessere Förderung oder ein größeres Budget gewartet wurde, denn scheinbar war dies wirklich der letzte Zeitpunkt, um sich die Geschichte(n) erzählen zu lassen. Der Abspann verrät, dass viele der Interviewpartner, ebenso wie Ziehm selber, in der Zwischenzeit verstorben sind. Somit wird ein Film wie „Finding Planet Porno“ in Zukunft nur noch schwer möglich sein, und darum ist es gut, dass es ihn gibt.

Da der fast zweistündige Film, wie gesagt, in der Mitternachtsschiene lief, dann auch mit etwas Verspätung anfing UND ein interessantes Q&A hatte, war es sehr, sehr spät geworden. Gerne hätte ich noch etwas mehr mit Christian geschnackt, doch der wurde von einem älteren Herrn derart in Beschlag genommen, dass es kein Durchkommen gab. Also verabschiedete ich mich nur und fuhr dann durch die Nacht nach Hause, wo ich irgendwann nach 3:00 Uhr morgens völlig fertig ins Bett fiel.

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Bericht vom 32. Internationalen Filmfest Oldenburg – Tag 1

Obwohl ich das Internationale Filmfest Oldenburg nun bereits seit 16 Jahren jedes Jahr besuche, war ich noch nie vier Tage am Stück dabei. In den ersten Jahren waren es immer zwei Tage, ab 2017 waren es dann immer drei. Dieses Jahr gönnte ich mir also auch den Donnerstag. Hauptgrund war, dass ich unbedingt sowohl „The Silent Sinner“ als auch „Summer Hit Machine“ sehen wollte – und das hätte sonst nicht geklappt. So fuhr ich nach der Arbeit nach Oldenburg, wo ich ganz entspannt meine Akkreditierung und meine Tickets abholen konnte. Und dieses Jahr bekam ich tatsächlich wieder Karten für alle Wunschfilme. Nach einer kleinen Stärkung traf ich mich mit meinem Weird-Xperience-Kollegen Stefan, der schon ein paar Stunden früher angereist war und bereits einen Film hinter sich hatte.

Im Theaterhof schauten wir uns gemeinsam einen der Filme an, auf die ich am meisten hingefiebert hatte: „The Silent Sinner“.

Aber bevor es mit dem Hauptfilm losging, gab es erst einmal einen Vorfilm aus Großbritannien. „One Night Stand“ handelt von der Macht (und deren Missbrauch), die Schauspiellehrerinnen über ihre Schülerinnen haben und ausüben. Hier sollen die ohnehin verunsicherten Schauspielerinnen vor der Kamera während eines Workshops eine Situation nach einem „One Night Stand“ improvisieren. Dabei brechen die Emotionen aus und die Frau übersteht die Situation nicht ohne starke seelische Belastung. Das ist schon sehr unangenehm. Wobei die Übergriffigkeit des Lehrers für meinen Geschmack zu zweideutig bleibt. Man könnte sie sogar als „effektiv“ ansehen, was sicherlich nicht im Interesse der Filmemacher sein dürfte. Zwiespältig.

The Silent Sinner“ handelt von einem Pärchen, das in Krakau die schöne Frau als Lockvogel einsetzt, die in Bars Männer aufreißt und sie mit nach Hause nimmt – wo sie dann von dem Mann umgebracht werden. Dazwischen träumen sie sich ans Mittelmeer oder vertreiben sich die Zeit mit dem Erraten von Film-Scharaden.

Das klingt aufregender, als es ist. Die Mordszenen sollen transgressiv sein, wirken aber eher amateurhaft und gewollt „schockierend“, was sie aber nicht wirklich sind. Überhaupt wirkt der Film wie eine Parodie auf „Kunstfilme“. Regisseur Guillaume Campanacci erzählte in der Q&A, dass er nur gedreht habe, weil er mal wieder Lust auf einen Langfilm hatte, den er gerne in Oldenburg zeigen wollte. Man habe den Film dann spontan zu dritt (mit ihm selbst in der Doppelrolle als Regisseur und Hauptdarsteller, seiner Freundin Madeleine Skrzynecka als weibliche Hauptrolle und einem Kameramann) gefilmt. Dabei gab es kein richtiges Drehbuch und man habe sich auf den Instinkt verlassen. Da Madeleine Skrzynecka keine Schauspielerin ist (was man gerade in den Mordszenen deutlich merkt), habe er ihre Rolle als die einer Taubstummen angelegt.

Immer wieder werden viele Filme direkt oder indirekt zitiert oder Filmtitel gedroppt. Das wirkt dann ein wenig angestrengt und zu gewollt clever. Generell wirkt der Film, als wolle er zu viel – oder zu wenig. Die permanente Musik ist sehr, sehr laut. Die Szenen passen oftmals nicht zusammen oder man weiß nicht genau, wie sie zusammengehören sollen. Gerade die Szenen, welche am Mittelmeer gedreht wurden und scheinbar Wunschvorstellungen der Protagonisten darstellen sollen, sind komplett drüber. Spätestens wenn in einem Rückzugsort in einer Turmruine am Strand überall Philosophie-Bücher herumliegen oder es Szenen einer Geburt oder der Hauptdarstellerin gibt, die im Nonnenkostüm ins Wasser geht, fühlt man sich wie in einer Persiflage auf Godard.

Auch lässt der Film offen, ob das nicht alles nur eine Fantasie ist, die sich die beiden Protagonisten zusammenträumen. Unangenehm wird es trotzdem in jenen Szenen, in denen Campanacci offenbar Altherrenfantasien auslebt. Zum Beispiel, wenn die Frau am Strand Stöckchen holen muss oder den Herrn anschmachtet. Leider wirkt dies, wie so vieles in dem Film, sehr selbstverliebt. Vielleicht ist es aber auch Absicht, was dann wieder für den parodistischen Ansatz bezogen auf die Bauchnabelfilme aus dem Kunstkino der 60er und 70er spräche. Man muss Guillaume Campanacci allerdings zugestehen, dass er sein Ding kompromisslos durchzieht. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass das Filmteam sehr viel mehr Spaß beim Drehen hatte als das Publikum beim Zuschauen. Zumindest erging es mir so. Schade. Vielleicht war aber auch meine Erwartung eine andere.

Auch beim nächsten Film, der dann im cineK Studio lief, gab es wieder einen Vorfilm. „Rock, Paper, Scissors“ passte zum Hauptfilm und stimmte das Publikum gut ein. Dieser ukrainische Film handelt von einem sehr jungen Mann, der sich mit seiner Familie und weiteren Ukrainerinnen in einem Bunker vor den Russen versteckt. Als diese näherkommen, beschließt er, sie auf eigene Faust vom Bunker abzulenken. Der Kurzfilm ist sehr nahe an seinen Figuren dran, für die man schnell Sympathie empfindet. Dabei ist er auch ausgesprochen gut gefilmt und nimmt einen mit in eine schier ausweglose Situation, die mit einem kräftigen Schlag in den Magen endet.

Den Regisseur sollte man auf jeden Fall im Auge behalten, ebenso den überzeugenden Hauptdarsteller Oleksandr Rudynskyi. Scheinbar handelt es sich um eine wahre Geschichte, die das Vorbild für den jungen Mann dem Regisseur Franz Böhm erzählt hat. Wenn im Abspann steht, dass sich dieser nach den traumatisierenden Ereignissen freiwillig zu den Streitkräften gemeldet hat und später im Kampfeinsatz mit 18 Jahren erschossen wurde, hat man Tränen in den Augen.

Der Hauptfilm war dann der argentinische Film „Gunman“, dessen Regisseur auch anwesend war.

Gunman“ ist ein extrem dynamischer Film, der häufig an Videospiele erinnert. Einerseits, weil man das Geschehen überwiegend aus der Perspektive des Protagonisten Pablo sieht (dessen Gangart mich in einigen Szenen auch an die einer Computerspielfigur erinnerte), aber auch, weil der Film (scheinbar, der Regisseur verriet, dass da etwas geflunkert wurde) in einem Take gedreht wurde. Der grandiose Hauptdarsteller Sergio Podeley ist somit in fast allen Szenen im Mittelpunkt; nur einmal verliert ihn die Kamera für eine etwas längere Zeit aus den Augen und konzentriert sich stattdessen auf eine Gruppe Vigilanten, die beschließt, gegen die schießwütigen Gangs vorzugehen.

Der „Gunman“ erinnert an Mario Adorf als Luca Canali in „Der Mafiaboss“. Wie dieser ist Pablo ein kleines Rad im Mafiagetriebe, das zum Sündenbock gemacht wird und nicht weiß, wie ihm geschieht und weshalb plötzlich alle hinter ihm her sind. Beide sind immer am Limit und scheinen irgendwann förmlich zu explodieren. In anderen Filmen wäre Pablo nur eine kleine Randfigur. Doch hier wird der Plot aus der Sicht eben dieser gezeigt. „Gunman“ lässt einen mit seinem hohen Tempo und den vielen Plot-Twists vollkommen atemlos zurück. Mit 80 Minuten hat er auch genau die richtige Länge.

Der sehr sympathische Regisseur Cristian Tapia Marchiori erzählte in der Q&A, dass es in dem ganzen Film gerade mal vier Schnitte gebe und er den Film in drei Tagen gedreht hätte – und zwar in einem Vorort von Buenos Aires, wo tatsächlich Gangs gewaltsam über das gesamte Gebiet herrschen. Er konnte sich mit den Gangs aber arrangieren. Und die Allgegenwart der realen Gangs verleiht „Gunman“ eine beklemmende Authentizität. Einige der Gangmitglieder spielen auch im Film mit. „Gunman“ war in Argentinien in den Kinos ungeheuer erfolgreich und hat auch schon Streaming-Verträge. Die sehr lange Q&A war einmal mehr ein Beweis für die spezielle Atmosphäre und Gemeinschaft in Oldenburg. Da Marchiori nicht gut Englisch sprach, sprang kurzerhand J. Xavier Velasco, der mexikanische Regisseur des Films „Crocodiles“, der zuvor gelaufen war, als Dolmetscher ein – und machte seine Sache ausgezeichnet.

Nach dem Film sprangen Stefan und ich schnell in mein Auto, denn es war schon spät geworden und ich musste am nächsten Tag erst noch wieder arbeiten.

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Blu-ray-Rezension: “Die fliegende Guillotine 3“

Auf Geheiß des Kaiser wird ein hoher Beamter mitsamt seine Familie und Bediensteten ermordet. Dieser hatte Beweise entdeckt, die den Monarchen mit einer Reihe von Terroranschlägen in Verbindung bringen, bei denen die gefürchtete „Fliegende Guillotine“ zum Einsatz kam. Die Frau des Beamten, Yung Chiu-Yen (Chen Ping), war allerdings zu diesem Zeitpunkt außer Haus und muss nun um ihr Leben fliehen. Verantwortlich für den Mord war der Vertraute des Kaisers: Chin Kang-Feng (Lo LIeh). Dieser verschwiegt dem Kaiser, dass es eine Überlebende gab und versucht nun diese im Verborgenen zu töten. Deshalb schickt er seine drei Kinder los, um Yung Chiu-Yen zu verfolgen und umzubringen. Was sie nicht wissen, Yung Chiu-Yen ist selbst eine bestens ausgebildete Kämpferin, die sich mit Hilfe eines ehemaligen Mitschülers, Wang Chung (Yueh Hua), und eines abtrünnigen Mitglieds der Fliegenden Guillotinen, Ma Shen (Norman Chu) der Attacken zunächst erwehren kann.

Die fliegende Guillotine ist vielleicht die bekannteste Mordwaffe, die man mit den Martial-Arts-Filmen der 70er Jahre verbindet. So spielte sie nicht nur in DIE FLIEGENDE GUILLOTINE 3 (der lediglich in der deutschen Fassung die fliegende Guillotine auch im Titel erwähnt), sondern natürlich auch in den zwei Vorgängern, in Jimmy Wang Yus Wundertüte DUELL DER GIGANTEN (auf Englisch dann „Master of the Flying Guillotine“) und nicht zuletzt in Quentin Tarantions KILL BILL VOL. 1 eine bemerkenswerte Rolle. Warum auch nicht? Eine seltsame, Hut-ähnliche Vorrichtung, die von geheimnisvollen Killern mit einem zielgenauen Wurf auf dem Haupt eines unglückseligen Opfers platziert wird und dieses mit einem kräftigen Ruck vom Körper trennt – das ist schon recht gruslig und spektakulär. Dieser inoffizielle dritte Teil hier trägt im Original den Titel „The Vengeful Beauty“ und hat eine recht chaotische Produktionsgeschichte, welche im Booklet zum Film näher beleuchtet wird.

Das Chaos bemerkt man, denn der Auftakt steht in keinem besonderen Zusammenhang zum Rest, und Figuren tauchen auf und verschwinden wieder kommentarlos. Vom Haupt-Antagonisten hört man später auch nichts mehr. Man hat das Gefühl, als wäre hier ein Film konzipiert und dann während des Drehs ein zweiter draus geworden. Oder man habe die Überreste eines nicht fertiggestellten Filmes mit einem neuen Drehbuch zusammengeklebt. Dies hält einen aber nicht davon ab, großen Spaß mit DIE FLIEGENDE GUILOTTINE 3 zu haben.

Die titelgebende Mordmaschine kommt allerdings nur in wenigen Szenen zum Einsatz und am Ende dann gar nicht mehr. Dafür hat sich Regisseur Ho Meng-Hua zahlreiche andere schräge Tötungsinstrumente ausgedacht. Wie zum Beispiel Suppenschüsseln (!). Und viel Zeit zum Nachdenken hat man sowieso nicht, denn die Laufrichtung des Filmes geht stramm nach vorne. Im Grunde muss unsere Heldin nur von Punkt A nach Punkt B gelangen und auf diesem gradlinigen Weg werden ihr ständig Knüppel in Form von mörderischen Attentätern zwischen die Beine geworfen. Was dann von Kampfszene zu Kampfszene führt.

Hauptdarstellerin Ping Chen ist zu diesem Zeitpunkt vor allem eine Darstellerin in sexy Komödien gewesen und eben keine Angela Mao oder Cheng Pei-Pei. Sie macht die Sache aber mit ihren begrenzten Möglichkeiten recht ordentlich. Und Ho Meng-Hua versteht es, auch diese Kämpfe durch diverse Verrücktheiten unterhaltsam zu inszenieren. Höhepunkt hier ist sicherlich ein Kampf in den Yin Yin Shaw involviert ist, und den sie barbusig zu bestreiten hat. Was einerseits nicht unbedingt nötig gewesen wäre und sehr schmierig und exploitiv ist – andererseits aber auch parodistisch wirkt, da dies hervorragend alle Klischees, die man 70er Jahre Kung-Fu-Filmen entgegenbringen könnte, bestätigt.

Regisseur Ho Meng-Hua ist bekannt für seine Horrorbeiträge bei den Shaw Brothers. Wie beispielsweise den ebenfalls bei filmArt in der Shaw Brothers Collection erschienenen DAS OMEN DES BÖSEN, dessen „Fortsetzung“ BLACK MAGIC, PART II oder THE OILY MANIAC. Hierzulande am bekanntesten dürfte sein „King Kong“-Rip-Off DER KOLOSSS VON KONGA sein, in welchem die Schweizerin Evelyne Kraft die Hauptrolle spielte. Dies zeigt schon Ho Meng-Huas Gespür für das Schräge, was auch in seine Martial Arts-Filme wie den hier vorliegenden, aber auch den ursprünglichen DIE FLIEGENDE GUILOTINE oder sein überaus beleibter DER TODESGRIFF DES SHAOLIN gehören.

Hauptdarstellerin Ping Chen war zwar ein großer Sex-Star in Hongkong, hier gibt sie sich allerdings eher bedeckt. In den wenigen Szenen, die Nacktheit hätten rechtfertigen können, wird sie überraschend züchtig von der Kamera eingefangen. Dafür darf/muss dann, wie oben bereits erwähnt, Yin Yin Shaw blankziehen. Die männlichen Helden sind häufig gesehene Gesichter in Shaw-Brothers-Produktionen, aber keine Superstars. Norman Chu (alias Hsu Hsioa-Cheng), der einen ehemaligen Guillotinen-Killer spielt, war zumeist die zweite Geige neben den eigentlichen Stars. Yueh Hua, der einen ehemaligen Mitschüler von Ping Chen darstellt, war ebenfalls mehr auf Nebenrollen abonniert.

Größter Name im Ensemble ist Lo Lieh, der sich zu dieser Zeit schon auf die Rolle des Bösewichts spezialisiert hatte. Dabei war er einst der Vorgänger von Bruce Lee, denn er spielte den Helden in der ersten Shaw-Brothers-Produktion, die auch in den USA ein Erfolg wurde: ZHAO – DER UNBESIEGBARE. Dieser wurde dort als „Five Fingers of Death“ von Warner Brothers vertrieben und startet eine ganze Welle von Kung-Fu-Filmen, was schließlich dazu führte, dass Warner mit DER MANN MIT DER TODESKRALLE ihren ersten eigenen Kung-Fu-Film produzierten. Und wie immer ist Lo Lieh auch in DIE FLIEGENDE GUILOTTINE 3 eine Bank.

Aufgrund der Schwierigkeiten in der Produktion, auf die Nando Rohmer in dem interessanten Booklet dieser Veröffentlichung eingeht, ist das Drehbuch ein ziemliches Durcheinander, welches die im Grunde simple Story verkompliziert, aber dadurch auch gleichzeitig interessant macht. Da macht es dann nicht viel aus, dass viele Szenen so wirken, als gehörten sie nicht unbedingt zusammen, und am Ende noch mehr Haken geschlagen werden, als es ein Hase auf der Flucht tut. Nicht alle unbedingt logisch nachvollziehbar.

Ein Novum dürfte es darstellen, dass die Heldin schwanger ist und sich deshalb beim Kämpfen zurückhalten müsste. Was selbstverständlich eine gute Entschuldigung für Ping Chens nicht so ausgeprägten Kampfkünsten. Zudem gibt es zum Ende hin einige brutal-bittere Wendungen, die man so auch nicht unbedingt hätte, kommen sehen. Wobei die Frage gestattet sein darf, ob der Autor des Drehbuchs, On Szeto – ein Vielschreiber, der auch für den hervorragenden DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER (auch in der filmArt Shaw Brothers Collector’s Edition) verantwortlich war -, das auch von Anfang an so geplant hatte oder einfach während des Drehs schnell eingebaut wurde. Diese Frage ist aber für den hohen Unterhaltungsfaktor des Filmes auch unerheblich.

Das Bild der Blu-ray hält die hohen Erwartungen, die man an die Shaw Brothers Collector’s Editionhat. Der Ton liegt in Mandarin und auch in Deutsch (in zwei unterschiedlichen Mixen) vor. Diese Synchro wurde scheinbar anlässlich der Erstveröffentlichung des Films 2018 durch das österreichische Label Shock Entertainment produziert. Dafür klingt die Synchronisation recht gut und könnte auch von einer alten VHS-Synchro stammen. Wenn auch die Sprecher allesamt eher unbekannt sind. Die Extras sind wie immer überschaubar. Allerdings besteht das Booklet diesmal nicht aus alten Kinoaushängen, sondern einem informativen Text von Nando Rohmer über die „Fliegende Guillotine“-Filme und den widrigen Umständen der Produktion.

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Blu-ray-Rezension: „Harley Riders – Sie kannten kein Erbarmen“

Aldo (Joe Dallesandro) ist ein kleiner Zigaretten-Schmuggler. Als er beim Verticken der Ware in seine eigene Tasche wirtschaftet, wird er dafür von der Bande des Neapolitaner Gangsterchefs Don Enrico (Raymond Pellegrin) zusammengeschlagen, seine geliebte Harley verschrottet und er selbst aus der Stad gejagt. Auch sein nächster Coup endet katastrophal, als er von einem schmierigen Auftraggeber übers Ohr gehauen wird und sich unwissend wieder mit Don Enrico anlegt. Dies kostet seinem einzigen Freund das Leben. Aldo sinnt auf Rache und beginnt sich selbst eine schlagkräftige Bande zusammenzustellen und Don Enrico Konkurrenz zu machen.

Die deutsche Titelschmiede führt einen zunächst auf eine falsche Spur. HARLEY RIDERS – SIE KANNTEN KEIN ERBARMEN hat weder etwas mit einer Rockerbande zu tun (d.h. indirekt vielleicht schon, aber nicht in der Art und Weise, wie man es aus dutzenden sogenannten Biker-Movies kennt) – noch spielt es im Rennzirkus (auch wenn es hier eine spektakuläre Szene während mit einem Motorcross-Rennen gibt). HARLEY RIDERS heiß im Original „L’ambizioso“ und in der englischen Übersetzung „The Climber“. Es handelt also um jemanden, der große Ambitionen hat und in den Rängen der Mafia aufsteigt.

Dieser Aufstieg findet recht rasant statt, da das kleine Licht Aldo schnell seine eigene Bande gründet und damit in Konkurrenz zu Don Enrico, dem Unterweltchef von Neapel tritt. Dies ist nur möglich, da Aldo weder Angst noch Respekt und vor allem keine Skrupel kennt.

Andy-Warhol-Entdeckung Joe Dallesandro passt hervorragend in die Rolle des Aldo. „Little Joe“ wirkt trotz seines guten Aussehens immer etwas schmierig und aus der Gosse kommend. Dallesandro hielt sich seit seinen Rollen in ANDY WARHOLS FRANKENSTEIN (Flesh for Frankenstein) und ANDY WARHOLS DRACULA (Blood for Dracula) in Europa auf, wo er in Frankreich und vor allem Italien vor die Kamera trat. Gerade in Italien hatte er diverse Hauptrollen, wie beispielsweise in Vittorio Salernos zynisch-brutalem Meisterwerk DIE GRAUSAMEN DREI (Fango bollente). Dallesandro ist kein klassisch ausgebildeter Schauspieler. Eher jemand, der instinktiv aus dem Bauch heraus agiert und eher unter- als überagiert. Auch hier schleicht und schlurft er durch den Film, nur um in plötzlichen Gewaltexzessen zu explodieren. Sein Stil erinnert an Klaus Kinski, der ebenfalls häufig wie desinteressiert vor der Kamera herum lümmelt, aber gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Auch Dellesanadro hat diese Präsenz und bildet völlig unangestrengt den Blickmagneten des Filmbildes.

Regisseur Pasquale Squitieri hat als Regieassistent beim großen Francesco Rosi gelernt. Viele seiner Filme beschäftigten sich gerade in seiner frühen Karriere mit den gesellschaftlichen Missständen in seinem Heimatland, und er bezeichnete sich als überzeugten Kommunisten. Dass er sich 1994 für eine postfaschistische Partei in den Senat wählen ließ, passt da nicht recht ins Bild. Doch solche „Karrieren“ sind auch in anderen Ländern leider nicht ungewöhnlich. Als er 1974 HARLEY RIDERS dreht, war von diesen Tendenzen noch nichts zu spüren. Squitieri hat einen strengen dokumentarischen Blick auf die Stadt Neapel und deren in der sozialen Unterschicht lebenden Bewohnerinnen und Bewohner. Hier wird nichts beschönigt. Squitieri führt vom Leben gezeichnete Gesichter vor. Wenn Aldo am Anfang geschmuggelte Zigaretten an eine Prostituierte verkauft, hat dies nichts von Erotik oder Sozialromantik, wie es vielleicht in anderen Filmen der Fall gewesen sein könnte, sondern von knallhartem Realismus. Pittoresk ist hier nichts, und Neapel wird von einer erschreckt hässlichen Seite gezeigt.

Die Figur Aldo dominiert die Geschichte. Neben ihm kommt kaum eine Figur zum Tragen. Mit Ausnahme seiner Freundin Luciana, die von Stefania Casini gespielt wird und von der gleich noch die Rede sein wird. Seine Bande bleibt gesichtslos, auch wenn ihre Rekrutierung einen Teil der Handlung ausmacht. Doch kaum sind die Spezialisten für Verbrechen engagiert, verlieren sie schon ihre Persönlichkeit. Die einzige Ausnahme stellt Bernard dar. Ein Mann, der nicht redet, nur handelt, wenn es die Situation erfordert, und der immer einen geheimnisvollen Beutel mit sich führt. Diese Figur, die scheinbar niemanden etwas beweisen muss, hätte durchaus einen größeren Platz im Film verdient. Lorenzo Piani spielt ihn überzeugend und mit einer bedrohlichen Lässigkeit. Und einer tödlichen Präzision, wenn er dann seine Waffe auf dem Beutel holt.

Die Actionszenen sind gut getimt und steigern sich während des Filmes immer mehr. Wobei HARLEY RIDERS kein Actionfilm ist, sondern sich mehr auf den Weg der Figur Aldo konzentriert. Die ist nicht unbedingt sympathisch und voller Widersprüche. Mit jemanden wie Aldo kann man sich nicht identifizieren. Ganz im Gegenteil. Skrupellos und brutal sucht er den Weg nach oben und die Rache an Don Enrico, der ihn einst in die Schranken wies und für den Tod seines einzigen Freundes verantwortlich ist. Natürlich besitzt Aldo auch Charme, doch nutzt er diesen vor allem, um an seine Ziele zu kommen.

Darunter leidet die Beziehung zu seiner Geliebten. Luciana, eine gutgläubige, für die brutale Gangsterwelt viel zu zarte Frau, die Aldo vielleicht einen Tick zu schnell verfällt. Sie ist das Herz des Films. Zwar hat Schauspielerin Stefania Casini nur vergleichsweise wenige Szenen, diese brennen sich aber ins Gedächtnis. Besonders zum Ende hin, wenn sie mit dem Leben, zu dem sie Aldo zwingt, nicht mehr klarkommt. Dann ist die Verzweiflung, die Stefania Casini hier spielt, mit beiden Händen greifbar und ihre Luciana ist die einzige Person in einem gefühlskalten Film, die man in den Arm nehmen möchte. Und die eklige Weise wie Aldo mit ihr umgeht, stößt einen nur noch mehr von ihm ab.
Das Finale kommt dann sehr schnell und vorhersehbar. Squiriti spielt hier mit religiösen Motiven. Zumindest kann man dies so interpretieren. Mit einer Party als letztes Abendmahl und der Suche nach Erlösung.

Hervorzuheben ist auch die Musik von Franco Campanino, der normalerweise eher im Commedia sexy all’italiana zuhause war, im selben Jahr aber auch nochmal Joe Dallesandro in dem bereits erwähnten, finsteren DIE GRAUSAMEN DREI musikalisch begleitete. Ist es im Poliziottesco normalerweise der hart durchgreifende Kommissar Eisen oder ein Gangster mit eigenem Ehrencodex, welcher die Hauptrolle innehat, so muss man Aldo diesen Ehrencodex oder auch das goldene Herz absprechen. Vielmehr orientiert sich HARLEY RIDERS an den klassischen US-Gangsterfilmen der frühen 30er, wie DER KLEINE CÄSAR (Little Caesar), SCARFACE oder DER ÖFFENTLICHE FEIND (Public Enemy). Und mit Joe Dallesandros Aldo haben Cagney, Robinson & Co. auch ihren perfekten Nachfolger gefunden.

Die Blu-ray von filmArt ist ungeschnitten und mit 107 Minuten genauso lang, wie das britische Pendant von Arrow. Worauf hier besonders hingewiesen werden muss, denn bei beiden Veröffentlichungen stimmen die Cover-Angaben nicht. Während die Laufzeit bei filmArt mit 83 Minuten viel zu gering angeben ist, hat Arrow mit 113 ein paar Minuten zu viel auf der Uhr. Die Bildqualität der filmArt-Bluray ist wieder sehr gut und wirkt sehr natürlich mit vernünftigem Filmkorn. Es liegt eine gute deutsche Kino-Synchronisation vor, anderen Sprachfassungen leider nicht. Die auf dem Backcover angekündigte deutsche Kinofassung fehlt, ebenso wie nennenswerte Extras. Das Booklet besteht aus den Aushangfotos der deutschen Kinofassung.

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Vorschau: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg – Eröffnungsfilm und Tribute für Scott Glenn

Nun steht auch der Eröffnungsfilm des 32. Internationale Filmfest Oldenburg fest. Und der bringt Hollywood nach Oldenburg. Dies in Gestalt eines Schauspielers, den ich seit den 80er Jahren immer wieder sehr gerne gesehen habe: Scott Glenn.

Eugene the Marine“ von Hank Bedford verbindet laut Pressetext warmherzige Komödie mit klassischen Elementen des Giallo-Thrillers – an der Seite von Glenn sind Jim Gaffigan, Annette O’Toole und Shioli Kutsuna zu sehen

Bedfords Regiedebüt „Dixieland“ lief 2015 in Oldenburg und war damals nicht nur mein Lieblingsfilm des Festivals, sondern kletterte auch auf Platz 7 meiner Top 10 2015.

Mit „Eugene the Marine“ soll Bedford gekonnt zwischen Drama, Komödie und psychologischem Thriller oszillieren. Auf 16mm gedreht und laut Ankündigung „durchdrungen vom Geist des Genrekinos der 1970er- und 80er-Jahre, verneigt sich Bedford nicht nur vor seinem charismatischen Hauptdarsteller, sondern auch vor der wilden Energie der italienischen Giallo-Tradition. Entstanden ist »handgemachter Horror mit Herz«“

Eugene ist ein ehemaliger Marine, dessen streng geordnetes Leben ins Wanken gerät, als sein Sohn versucht, ihn aus dem Familienhaus in ein Altenheim zu verdrängen – während zugleich eine Serie geheimnisvoller Morde sein Umfeld erschüttert.

Scott Glenn prägt seit über fünf Jahrzehnten das Kino – von »Urban Cowboy« und »The Right Stuff« über »Das Schweigen der Lämmer« und »Training Day« bis hin zu HBOs »The White Lotus«. Sein Auftritt in der Serie brachte ihm eine Nominierung als Bester Gastdarsteller in einer Dramaserie bei den Emmy Awards ein, die am 6. September in Los Angeles verliehen werden. Sein künstlerisches Credo formulierte Glenn einst so: „Es gibt Momente im Spiel, in denen die Rolle dich spielt. Wenn man sensibel genug ist, lässt man es geschehen – und versucht, nicht im Weg zu stehen.“

Als einer der profiliertesten Charakterdarsteller Hollywoods arbeitete Glenn mit Regiegrößen wie Robert Altman, Francis Ford Coppola, Michael Mann, John Frankenheimer und Sofia Coppola.

Oldenburg ehrt Scott Glenn mit dem diesjährigen Tribute.

Zur Eröffnungsgala werden Hank Bedford, Scott Glenn, sowie Mitglieder des Ensembles und der Crew in Oldenburg erwartet, um einen Film zu präsentieren.

Im Rahmen des Tributes für Scott Glenn zeigt das Festival folgende Filme:

»Urban Cowboy« (USA 1980, Regie: James Bridges)
»The Challenge« (USA 1982, Regie: John Frankenheimer)
»Das Schweigen der Lämmer« (USA 1991, Regie: Jonathan Demme)
»Carla’s Song« (GB 1996, Regie: Ken Loach)

Scott Glenn wird vom 10. bis zum 14. September zu Gast in Oldenburg sein.

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Vorschau: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg – Auch die erste Filme sind angekündigt

Die ersten Filme des 32. Internationale Filmfest Oldenburg sind angekündigt. Bald ist es schließlich auch soweit. Das Filmfest findet in diesem Jahr vom vom 10. bis 14. September statt- und das ist nur noch knapp drei Wochen hin!

Wie in den letzten Jahren auch immer, habe ich hier die Ankündigungstexte der Pressemeldung übernommen und diesen im Anschluss mit meinen eigenen Anmerkungen versehen.

Re-Creation, IRL/LUX 2025 Jim Sheridan und David Merriman (Deutsche Premiere)

Ein fiktives Juryzimmer wird zur Bühne für das Nachdenken über Wahrheit, Schuld und Erinnerung. In »Re-Creation« werfen der sechsfach Oscar-nominierte Jim Sheridan und David Merriman einen prüfenden Blick auf den Fall Ian Bailey – zwischen juristischer Präzision und menschlicher Ungewissheit. Vicky Krieps als widerspenstige Jurorin und ein Ensemble angeführt von John Connors laden die Debatte auf, wie es einst Henry Fonda in Lumets „Die 12 Geschworenen“ tat. – Jim Sheridan ist für seine Filme mit Daniel Day-Lewis bekannt, wie z.B. „Mein linker Fuß“. Der Mann hat also einiges an Erfahrung, die er mitbringt. Zuletzt war er mit Musikvideos und als Produzent unterwegs. Dieser Film scheint eins ehr persönlicher zu sein, denn er ist nicht nur Co-Regisseur, sondern auch Drehbuchautor, Produzent und spielt eine der Hauptrollen.

Crazy Love, IRL 2025, Kevin Treacy und Jason Byrne (Weltpremiere)

Das Spielfilmdebüt des preisgekrönten Theaterregisseurs Kevin Treacy und des Kameramanns Jason Byrne ist ein Liebesbrief an Außenseiter. John Connors spielt einen selbstmordgefährdeten Mann, der sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen lässt und dort in eine schizophrene Patientin (Jade Jordan) verliebt, die diese nie wieder verlassen kann. Mit der Musik des legendären Komponisten Phil Keiran wird ihre ungewöhnliche Beziehung zu einem verzweifelt schönen Kampf um Liebe und Überleben an einem hoffnungslosen Ort.– Noch ein Regie-Duo. Klingt interessant. Wenn Theaterregisseure Filme machen, wird es ja oftmals Dialog-zentriert. Aber da hier auch ein Kameramann dabei ist, bin ich gespannt. Obwohl ich keine weiteren Arbeiten von Jason Byrne gefunden habe. Phil Keiran ist übrigens ein “Northern Irish DJ, electronic music producer, recording artist and remixer”. Der Film kommt erst einmal auf die Liste.

Horseshoe, IRL 2025, Edwin Mullane und Adam O’Keeffe (Internationale Premiere)

Vier Geschwister kehren nach dem Tod des Vaters auf das Familienanwesen zur Testamentseröffnung zurück – und treffen auf einen unerwarteten Gastgeber: Colms Geist. Dunkler Humor, zarte Momente, bittersüße Familientreue. »Horseshoe« ist wie ein Regenbogen über einem irischen Sturm: melancholisch, eigenwillig, unvergesslich. Der Film gewann Edwin Mulane und Adam O’Keeffe in Galway den Preis für den besten irischen Debütfilm. – Und Regie-Duo, die Dritte. Ist dies das Festival der Regie-Teams? Die Beschreibung des Films klingt schon einmal super und die IMDB-Bewertung geht durch die Decke. Werde ich auf jeden Fall versuchen zu schauen.

Good Boy, USA 2025, Ben Leonberg

»Good Boy« erzählt seine Geschichte aus der Sicht eines Hundes. Als sein Herrchen Todd in das ländliche Familienhaus seines Großvaters (gespielt von Genre-Ikone Larry Fessenden) zieht, spürt Indy dunkle, übernatürliche Kräfte, die seinen menschlichen Begleiter zu bedrohen scheinen. Nach seiner Weltpremiere beim South by Southwest Festival (wo er mit dem „Howl of Fame“-Award ausgezeichnet wurde) ist der Film bereits jetzt einer der meistdiskutierten Filme des Jahres 2025. – Ich glaube hier konsultiere ich vorher mal lieber die Seite doesthedogdie.com. Klingt gut. Wie eine Hunde-Version von „Katzenaugen“. Habe ich definitiv einen Blick drauf. Vor allem, weil mir gerade einfällt, dass ich schon Gutes über den Film auf andren Kanälen gehört habe.

Broken Voices, Tschechien 2025, Ondřej Provazník (Internationale Premiere)

In den frühen 90er Jahren zwischen neugewonnener Freiheit und den bedrückenden Restriktionen der alten Tschechoslowakei siedelt „Broken Voices“ seine Geschichte um die 13jährige Karolina an, die in einem streng geführten, renommierten Mädchenchor mit ihrem Talent die Aufmerksamkeit des Chorleiters und Eifersucht der anderen Mädchen erregt. Bei seiner Premiere in Karlovy Vary mit stehenden Ovationen gefeiert, gewann der Film eine besondere Erwähnung der Jury für Kateřina Falbrovás Darstellung der Karolina. – Tschechische Filme stehen bei mir fast immer hoch im Kurs. Von daher könnte der Film etwas für mich sein, auch wenn mich das Thema spontan nicht so anspricht. Anderseits – den möglicherweise thematisch verwandten „Whiplash“ fand ich ja großartig. Ich überlege noch.

Harakiri, I Miss You, Spanien 2025, Alejandro Castro Arias (Weltpremiere)

Drei Freunde, ein Tag, unzählige Emotionen. Zwischen Frust und Verlangen tastet sich der Film an die ungeschminkte Wahrheit von falsch verstandener Männlichkeit, Intimität und Freundschaft heran. Ein kluger und gnadenloser Blick auf das Verhalten, das uns formt. Alejandro Castro Arias‘ Debüt unterwandert alle Erwartungen an eine klassische Coming-of-Age Story um drei tragische Helden, denen jegliche soziale Kompetenz verloren gegangen ist. – Coming-of-Age und toxische Männlichkeit. Das weiß ich nicht, ob ich darauf Lust habe. Mal schauen.

Keep Quiet, USA 2025, Vincent Grashaw (Deutsche Premiere)

Lou Diamond Phillips liefert eine darstellerische Höchstleistung mit diesem Porträt eines von Schuld und Trauer geplagten Mannes, der versucht, vergangenes Unrecht wiedergutzumachen. Nach „Bang Bang“ im letzten Jahr bringt Vincent Grashaw seinen nächsten Film nach Oldenburg – erneut mit einem legendären Schauspieler in der Hauptrolle und einer eindringlichen Geschichte vom Rand der Gesellschaft. – Oha, Lou Diamond Philipps. Hätte ich auf dem Foto gar nicht erkannt. Von dem war ich in den 80ern und frühen 90ern Fan. Allein deshalb wandert der Film auf meine Liste. Aber auch die IMDB-Beschreibung „ A weathered tribal Cop and his new trainee must find a ruthless fugitive, whose return to their rural Indigenous reservation has exposed its darkest secrets and could ignite a violent gang war.” Klingt gut und auch hier sind die Bewertungen exorbitant hoch. Nick Stahl ist auch dabei und das ist ja auch kein Schlechter. „Bang Bang“ habe ich letztes Jahr verpasst, meine aber darüber Gutes gehört zu haben.

The Silent Sinner, FR 2025, Guillaume Campanacci (Weltpremiere)

In den dunklen Straßen Krakaus leben Scarlett und Rhett wie in ihrem eigenen Film – verbunden durch Liebe, Verbrechen und den gemeinsamen Traum von einem sonnigen Leben am Mittelmeer. Irgendwo zwischen Abel Ferraras „Ms.45“ und Godards »Le Mépris« und »Pierrot le Fou« zeichnet Campanaccis cineastisches Vaxierspiel die fragile Grenze zwischen Verlangen und Zerstörung nach. – Wenn in den Ankündigen Superschwergewichte als Referenz herangezogen werden, macht mich das ja immer skeptisch. Besonders, wenn die auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben. Andererseits wächst dadurch auch eine gewisse Neugierde, da ich alle drei genannten Film sehr mag – und in Krakau war ich erst vor ein paar Wochen. Die IMDB-Beschreibung klingt ein wenig anders (und wie ich finde besser): „In a world without sound, a mute and deaf femme fatale and her lover embark on a twisted spree of seduction and murder across the dark streets of Krakow.”

Maysoon, GER 2025, Nancy Biniadaki (Weltpremiere)

Eine Beziehung zerbricht, ein Reisepass läuft ab und plötzlich steht alles auf dem Spiel. Maysoon lebt mit ihrem deutschen Partner und ihren beiden kleinen Kindern in Berlin und muss hilflos zusehen, wie ihr mühsam wiederaufgebautes, bürgerliches Leben zerfällt. Zwischen verlorener Liebe, bürokratischen Mauern und der Erinnerung an den Arabischen Frühling fängt Nancy Biniadaki eindrucksvoll Maysoons stillen Kampf ein. Sabrina Anali spielt die Hauptrolle in diesem ergreifenden Porträt einer Frau im Ausnahmezustand. – Ein wichtiges und aktuelles Thema. Aber ich weiß noch nicht, ob ich darauf auch wirklich Lust habe. Wird eine spontane Entscheidung. Würde ich nicht ausschließen.

Gunman, ARG 2025, Cris Tapia Marchiori (Deutsche Premiere)

Ein Ex-Auftragskiller, ein einfacher Job – und ein Echtzeit-Abstieg in Verrat, Überleben und Chaos. In einer einzigen, atemlosen Einstellung durch die Straßen von Buenos Aires getrieben, zieht »Gunman« mit jeder Sekunde tiefer in ein Viertel, das von Gewalt und Loyalität regiert wird. – Die IMDb weiß zusätzlich zu berichten: „Gatillero (Gunman) is a tense real-time thriller. A raw story of tragedy and redemption, told through a single continuous shot. Filmed in the real Isla Maciel, on the outskirts of Buenos Aires, Argentina.“ Klingt spannend. Erinnert mich an den dänischen „Shorta“, den ich 2020 in Oldenburg sah und der mich sehr beeindruckt hatte. Bin gespannt!

Summer Hit Machine, BEL 2025, Jérôme Vandewattyne

Tief in den belgischen Ardennen betritt die Boogie-Punk-Band Chevalier Surprise ein schickes Studio – beauftragt, Machiavellis Kult-Hymne „Fly“ zu covern. Ihre abgeschottete Elite-Session entwickelt sich zu einer irrwitzigen Kollision von Egos und Ambitionen. »Summer Hit Machine« liebt sein Chaos, lacht über die Musikindustrie und feiert die Absurditäten von Ruhm und Wahnsinn. Nach seinem preisgekrönten „The Belgium Wave“ liefert Jerôme Vandewattyne ein weiteres trickreiches Spiel mit Erwartungen und Konventionen und erweist sich als einer der sorglosesten Nonkonformisten des europäischen Kinos. – Ha, der sympathische Herr Vandewattyne ist ja quasi Stammgast in Oldenburg – und enttäuschte bisher nie. Im Gegenteil. Sowohl die Punk-Mockumentary „Spit ’n‘ Split“ als auch „The Belgium Waves“ zählten in den jeweiligen Jahren immer zu meinen Höhepunkten in Oldenburg. Ich freue mich sehr, dass auch sein dritter Spielfilm hier gezeigt wird. Klar, dass ich alles daran setzen werden, den Film irgendwie in meinen „Guck-Plan“ unterzubringen.

The Girl in the Snow, FRA 2025, Lousie Hémon

1899 trifft Aimée, eine junge konservative Lehrerin, in einem abgelegenen Bergdorf an der französisch-italienischen Grenze ein. Fest entschlossen, die obskuren Aberglauben des Dorfs herauszufordern, findet sie sich allmählich in das Dorfleben – bis eine Lawine die ersten der Bergmänner unter sich begräbt. »The Girl in the Snow« ist ein hypnotischer Mix aus magischem Realismus, Sinnlichkeit, Naturmystik und uralter Folklore. Hémons meisterhaftes Debüt wurde in Cannes uraufgeführt. – Okay, „ magischem Realismus, Sinnlichkeit, Naturmystik und uralter Folklore“. Damit hat man mich. Ich habe jetzt zwar Kritiken gelesen (der Film lief schon auf anderen Festivals), die klarmachen, dass das hier kein Folk-Horror ist, und man seine Erwartungen dahingehend korrigieren sollte. Aber gut hörten die sich trotzdem an.

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Vorschau: Das 32. Internationale Filmfest Oldenburg – Erste Gäste angekündigt

Das 32. Filmfest Oldenburg steht bevor und bereits jetzt sind die ersten Höhepunkte veröffentlicht wurde. Gerade für Freunde des „aus dem Rahmen fallenden“ Films ist wieder ordentlich etwas dabei. So wurden bereits zwei Gäste angekündigt.

Zunächst ist da der Filmemacher und Musikproduzent James William Guercio, der zwar nur einen einzigen Film inszeniert hat – der hat es dafür aber in sich: „Electra Glide in Blue“. Oder wie er in Deutschland hieß: „Harley Davidson 344“. Der Film wird selbstverständlich während des Filmfests auch gezeigt.

Guercio ist vor allem für seine Arbeit mit der Band Chicago bekannt. In einer langjährigen Partnerschaft definierte er das Rockgenre neu, indem er Jazz, Rock und blasinstrumentenbetonte Melodien miteinander verband. Er schrieb, arrangierte und produzierte elf Alben und verhalf der Band zu 24 Top-40-Hits. In seinem legendären Caribou Ranch Studio in Montana nahm er Künstler wie Chicago, Phil Collins, Earth, Wind and Fire, Billy Joel, Elton John, John Lennon, die Beach Boys, Supertramp, Michael Jackson und U2 auf. Im Laufe seiner Musikkarriere gewann er zwei Grammys und wurde 36 Mal für einen Grammy nominiert.

Der zweite Gast ist noch etwas obskurer. Wer in den 80ern als Horror-Nerd aufgewachsen ist, kennt aber sicherlich das Gesicht: Don Opper. Als Charly Mc Fadden war er in dem schwarzhumorigen Sci-Fi Hit „Critters“ zu sehen und spielte diese Rolle auch in allen drei Sequels.

Opper begann als Setdesigner und Second Unit Director in Roger Cormans New World Studios. Er arbeitete an einem der größten Erfolge Cormans mit und ergriff dann mit einigen Mitstreitern aus der Corman Schmiede die Gelegenheit, mit „Android“ als Hauptdarsteller (neben Klaus Kinski!) und Co-Drehbuchautor das erste Filmprojekt umzusetzen.

Es dauerte dennoch zwei Jahre, bevor der Film es ins Kino schaffte. Die Macher mussten die Rechte von Corman zurückkaufen, da er nicht an den Erfolg dieses für seine Ansprüche viel zu anspruchsvollen Films glaubte. Erst 1984 kam er in die amerikanischen Kinos und wurde als „Sleeper-Hit“ von der Kritik gefeiert.

Don Opper wird mit seinem Bruder, dem Produzenten Barry Opper in Oldenburg zu Gast sein. Im Rahmen des Tributes werden in Oldenburg zu sehen sein:

»Android« (USA 1982, Regie: Aaron Lipstadt)
»Critters« (USA 1986, Regie: Stephen Herek)
»Slam Dance« (USA 1987, Regie: Wayne Wang)
»Critters 2« (USA 1988, Regie: Mick Garris)

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Filmbuch-Rezension: Christian Keßler “Das wildeste Auge – Horror und Science Fiction all’italiana (1957-1994)“

Es war im Jahre 1997 als ich in dem damals an der Martinistr. beheimaten Filmladen „Cinemabilia“ das Buch „Das wilde Auge“ von Christian Keßler entdeckte. Mit 49 DM war es für mich damals nicht gerade günstig. Ich kannte und mochte bereits Christians Artikel in der Splatting Image und „Das wilde Auge“ eröffnete mir weitere neue (Film)Welten. Zuhause bemerkte ich, dass jemand bereits in das Buch hinein gekritzelt hat. Ein Scherz eines Mitarbeiters oder der Autor selbst? Damals wusste ich nicht, dass Christian auch in Bremen wohnte. So blieb der Schriftzug all die Jahre ein Geheimnis für mich, welches sich erst im Februar 2019 aufklärte. Da hatten mein Mitstreiter Stefan und ich Christian in unserer Film-Reihe Weird Xperience im Cinema im Ostertor zu Gast hatten, wo er sein damals neues Buch „Endstation Gänsehaut“ vorgestellte. Da hatte ich „Das wilde Auge“ im Gepäck und konnte ihn bei den einleitenden Worten direkt danach gefragt. Er konnte sich da zwar nicht mehr dran erinnern, erkannte aber seine Handschrift.

„Das wilde Auge“ war für mich eine Offenbarung, und ich las es mehr als einmal. Man muss sich auch vor Augen halten, dass es damals eines der ersten deutschsprachigen Bücher zum Thema italienischer Genrefilm war – und meines Wissens auch das erste, welches seinem Thema mit Liebe und Respekt begegnete. Das im Corian Verlag erschiene „Das wilde Auge“ hatte scheinbar keine riesige Auflage und wurde auch nie nachgedruckt, weshalb es in Sammlerkreisen rasch zum gesuchten Objekt wurde und bei Ebay und Konsorten locker Preise im mittleren dreistelligen Euro-Bereich aufgerufen wurden. Kein Wunder also, wenn in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder der Wunsch geäußert wurde, es möge doch endlich mal neu aufgelegt werden.

Diesem Wunsch wurde nun entsprochen. Nachdem Christian Keßler im vorbildlichen Martin Schmitz Verlag bereits zahlreiche Bücher, u.a. zum amerikanischen Hardcorefilm, dem Horrorfilm an sich, dem Film Noir, dem Giallo und dem italienischen Polizei- und Mafiafilm veröffentlicht hatte, ist nun mit „Das wildeste Auge“ eine Revision seines Klassikers erschienen. Dabei deutet der Titel schon an, dass es sich nicht um einfachen Nachdruck handelt. Im Gegenteil: „Das wildeste Auge“ ist ein vollständig neues Buch, welches sich allerdings den Themen des Vorgängers widmet. So übernimmt das Buch nicht die Struktur des alten Buches, welches in thematische Kapitel eingeteilt war, sondern jene der letzten Veröffentlichungen.

Christian nimmt sich Jahr für Jahr vor und stellt jene in diesen in die Kinos gekommen, relevanten Filme chronologisch vor. Es beginnt mit „Der Vampir von Notre-Dame“ aus dem Jahre 1957 und endet mit „Dellamorte Dellamore“ aus dem Jahre 1994. Dies ist einerseits ein perfekter Schlusspunkt, andererseits ein wenig schade, da es danach ja noch einige wenige Horrorfilme aus Italien gab, man denke z.B. an „Wax Mask“ oder „Terza Madre“. Mein persönlicher Tipp wäre zum Beispiel „Across the River“ von 2013. Aber es passt schon, denn „Dellamorte Dellamore“ war der letzte Höhepunkt einer fast 40-jährigen Reise. Damals glaubten wir Fans noch, er wäre der Auftakt einer neuen Welle an italienischen Genrefilmen. Tatsächlich leider kam diese dann nicht, und das Genre wurde in Italien nur noch sporadisch bedient.

Christians Ansatz bleibt der eines Beobachters. Er ergeht sich nicht in tiefgreifenden Analysen der von ihm vorgestellten Filme, sondern beschreibt, was er dabei empfunden hat, was er an den Filmen mochte und manchmal auch, was nicht. Dem werden Informationen/Ankedoten über die beteiligten Personen und Produktionsumstände beigestellt, sowie eine Einordnung der Filme in die Geschichte des Genres, wofür Christian als langjähriger Experte auf dem Gebiet natürlich prädestiniert ist. Vorgetragen im typisch locker-humorvollen Keßler-Sound, den er über die Jahre perfektioniert hat.

Christian beschränkt sich hier ganz auf die beiden Genres Horror (wobei dieses auch die berüchtigten Kannibalenfilme beinhaltet) und Science-Fiction. Andere Strömungen des phantastischen Films kommen nur zum Zuge, wenn sie Horrorelemente besitzen, wie beispielsweise Mario Bavas Peplum „Vampire gegen Herakles“. Der Ansatz alle Filme chronologisch zu präsentieren ist höchst spannend und aufschlussreich. Denn er zeigt sehr deutlich, dass das italienische Genrekino in Wellen funktioniert, welche durch erfolgreiche Filme – zumeist aus Hollywood, aber nicht nur – ausgelöst werden und schnell zu einer wahren Flut führen, die dann aber ebenso schnell auch wieder verebbt. Dies wäre auch einmal eine ganz eigene filmhistorische Untersuchung wert.

„Das wildeste Auge“ ist wieder einmal ein Buch, in dem man stundenlang versinken kann. Welches man entweder von vorne nach hinten liest oder sich auch immer wieder hier und dort Abschnitte oder einzelne Filme herauspicken kann. Und welches sich obendrein hervorragend dazu eignet, die eigene „Guck-Liste“ zu vervollständigen. Als nächstes soll, wie man hört, dem spanischen Horrorfilm eine ähnliche Behandlung angediehen werden. Ein weiterer Grund zur Freude!

Christian Keßler “Das wildeste Auge – Horror und Science Fiction all’italiana (1957-1994)“, Martin Schmitz Verlag, 360 Seiten, gebunden, farbige Abbildungen, € 36,00

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